Rights to Copy by
Wilhelm Schütze
|
![]() |
|||||||||
![]() Reinkarnationslehre im frühen Christentum Ein Auszug aus dem Buch Origenes von Alexandria Aus den vorangegangenen Zitaten wird erneut deutlich, daß das Wissen um die Karma- und Reinkarnationsgesetze zur Zeit Jesu noch selbstverständlich war und wohl auch zum urchristlichen Gedankengut gehörte. ... Das frühe Christentum kannte in den ersten Jahrhunderten nach Jesus noch keine festen Lehrsätze (Dogmen). Als Glaubensgrundlage dienten in erster Linie die Originalhandschriften des Neuen Testaments....Daneben galten auch die etwas systematischeren Schriften der Kirchenväter oder Kirchenlehrer als maßgeblich, welche jedoch die unterschiedlichsten Themen behandelten und dabei durchaus nicht in allen Punkten übereinstimmten.... Diesen Sachverhalt möchten wir in der Folge am Beispiel der wohl herausragendsten und einflußreichsten Persönlichkeit des Urchristentums illustrieren: Origenes von Alexandria (185-254), dessen Name gerade im Zusammenhang mit dem Reinkarnationsgedanken immer wieder genannt wird - und dies zurecht. Origenes ist der erste und einer der größten Gelehrten und Bibelkenner, die das Christentum je gekannt hat. Er war ein Wissenschaftler, der alle weltlichen Ehren der damaligen griechischen Bildungswelt errungen hatte, und er ist außerdem der einzige, der die Lehre des Christentums auch literarisch in Form eines geschlossenen philosophischen Systems darstellte. Um alle seine Aussagen auf ein breites biblisches Fundament abzustützen, erstellte er sich eine umfassende Textausgabe des Alten Testaments (die "Hexapla"), so daß er seine Lehren immer auf diese Grundlage beziehen konnte. Er beherrschte neben der griechischen Sprache auch Hebräisch (die Sprache der alttestamentarischen Urtexte), und erlernte darüber hinaus sogar eigens die Muttersprache Jesu, Aramäisch, um auch die Texte jener im Original lesen zu können, die Jesus persönlich gekannt und sein Leben und seine Lehren schriftlich festgehalten hatten. Origenes kann also, ohne Übertreibung, als Universalgelehrter von Weltrang bezeichnet werden. Er ist "Zeuge höchsten christlichen Wissens und dessen überragender Lehrer. Seine literarische Hinterlassenschaft stellt bis ins 20. Jahrhundert die umfassendste und tiefste Erschließung der Bibel dar." (aus der Einleitung des Buches "Origenes der Diamantene" von Robert Sträuli, 1987). Origenes war zudem der Leiter der berühmten Katechetenschule von Alexandria (im heutigen Ägypten), wo sich auch die größte Bibliothek des Altertums befand, mit der umfangreichsten Schriftensammlung der gesamten damaligen Welt. Viele Fachkenner sind sich darüber einig, daß sich mit größter Wahrscheinlichkeit dort auch zahlreiche vedische Originaltexte in Sanskrit befanden, denn es herrschte bereits damals ein reger kultureller und philosophischer Austausch zwischen den Gelehrten der griechischen, persischen und indischen Hochkulturen. Diese höchst bedeutende Bibliothek wurde indes im Jahre 389 von einem christlichen Glaubensfanatiker, dem Patriarchen Theophilus, in Brand gesteckt. Durch diese bedauernswerte Tat wurde wertvollstes Wissen unwiederbringlich zerstört, was die historische Forschung heute erheblich erschwert. Es ist jedoch wichtig zu beachten, daß aufgrund dieser Tatsache keiner der späteren Kirchengelehrten nach Origenes solche Voraussetzungen für seine wissenschaftliche Arbeit hatte wie Origenes - auch nicht jene, die später versuchten, seine Lehren zu widerlegen. Kurzum: Origenes hatte also Kenntnis sämtlicher verfügbaren Originaldokumente des Christentums, sowohl der heiligen Schriften der Juden als auch der Evangelien und Apostelbriefe und der heute als apokryph («unecht») bezeichneten Schriften, und er verfügte außerdem über fundiertes Wissen der griechischen, persischen und vermutlich auch der vedischen Philosophie. Er hatte Pythagoras, Platon und Plotin gelesen und war ein persönlicher Schüler des großen Gelehrten Ammonius Sakkas aus Alexandria (175-242), des Begründers der neuplatonischen Lehre. Der gleiche Bischof Demetrius aber war später auch der erste, der Origenes der Irrlehre bezichtigte, wobei seiner Handlungsweise jedoch offensichtlich ein rein egoistisches Motiv, nämlich gekränkte Eitelkeit und Neid, zugrunde lag: Als die Bischöfe in Caesarea (Palästina), wo sich Origenes längere Zeit zu Lehrzwecken aufhielt, diesen aufgrund seiner Beliebtheit und Gelehrsamkeit zum Presbyter (Priester) weihten, sah Demetrius darin einen Eingriff in seine Rechte und veranlaßte in Origenes' Abwesenheit die Aberkennung seiner Priesterwürde und seine Verbannung (dies im Jahre 231). Dieser "Fall Origenes" ist in der christlichen Kirchengeschichte wahrscheinlich das erste Beispiel eines Konfliktes zwischen einem unabhängigen christlichen Gelehrten und der Autorität der über ihm stehenden kirchlichen Behörde - das erste Beispiel also für den Kampf um die Wahrheit gegen den Kampf um die Macht im hierarchischen System. In den folgenden Jahrhunderten wurden die Lehren dieses größten aller Kirchengelehrten, der zu seinen Lebzeiten keinen Sachkenner gleichen Ranges gekannt hatte, immer wieder der Häresie (Ketzerei) bezichtigt. Dennoch vertraten einige führende Theologen auch nach Origenes' Tod weiterhin seine Ansichten. Weil, vor allem in Palästina, bis ins 6. Jahrhundert (also 300 Jahre nach seinem Tode) teilweise bürgerkriegsähnliche Zustände unter den betroffenen Mönchsgruppen herrschten, übergaben einige Origenes-Gegner dem im Jahre 542 in Palästina weilenden päpstlichen Gesandten Pelagius eine Klageschrift an den herrschenden Kaiser Justinian I. in Konstantinopel (Byzanz). Diese Schrift wie auch andere Motive führten in der Folge dazu, daß die Lehren des Origenes offiziell aus der aufstrebenden christlichen Kirche verbannt wurden. Origenes' Lehre Origenes verfaßte insgesamt rund 2000 Schriften, die später leider alle größtenteils zerstört wurden. ... Dennoch können wir anhand der überlieferten Textstellen die Grundzüge seiner Lehre skizzieren: Origenes lehrte, daß es eine Rangordnung unter den Wissenschaften gebe, an deren Spitze nicht mehr die Philosophie, sondern vielmehr die Theologie, die Wissenschaft über Gott, zu stehen habe: "Wenn die Söhne der Weltweisen von Geometrie, Musik, Grammatik, Rhetorik und Astronomie sagen, sie seien die Mägde der Philosophie, so können wir von der Philosophie in ihrem Verhältnis zur Theologie dasselbe sagen." Folglich verlangte er von den Theologen, sämtliche verfügbaren alten philosophischen und wissenschaftlichen Schriften zu kennen und durchzuarbeiten und allem ein gerechtes Ohr zu leihen, wofür er selbst das beste Beispiel gab. In seinen Lehren nimmt Origenes denn auch eine weitgehende, ja für die Kirchenmacht zu weit gehende Verschmelzung christlicher mit neuplatonischen Gedanken vor. In seinem Hauptwerk "De principiis" (Von den Grundlehren) beschrieb er, gleich den Neuplatonikern, das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen (d.h. den Seelen) wie jenes zwischen der Sonne und dem Glanz, der von ihr ausstrahlt - ein Vergleich übrigens, der sich, wie erwähnt, bereits im vedischen Visnu Purana (1.22.53) findet. Jesus steht dabei als Gottes Sohn in gleichem Abstand von beiden zwischen Gott und den Menschen als Vermittler. Weiter lehrte Origenes, daß die gesamte Schöpfung - also sowohl die unvergängliche spirituelle Welt als auch die zeitlich begrenzte körperliche (materielle) Welt - von Gott geschaffen wurde und daß "kein Wesen existiert, das nicht von Ihm sein Dasein erhalten hätte". Mit anderen Worten, alle Vernunftwesen (von Origenes Logika genannt) gehen ewig aus Gott hervor und sind demzufolge selbst auch ewig, da sie mit Gott verwandt sind. Im Urzustand waren alle Logika nichtmaterielle Wesen und gaben sich der unmittelbaren Schau ihres gemeinsamen Vaters hin. ... Die individuellen Unterschiede zwischen den "himmlischen, irdischen oder unterirdischen Wesen", so lehrte Origenes, sind erst durch den Fall, das Wegfallen von Gott, entstanden. Grund und Ursache dieses Falles sind demnach nicht im Schöpfer zu suchen, sondern in den Lebewesen selbst, da, wie er schreibt, "die Ursache der Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit unter den einzelnen Geschöpfen von ihren eigenen Bewegungen herrührt, die teils lebhafter, teils träger sind, entsprechend ihrer Tugend und Schlechtigkeit, nicht aber aus ungleicher Behandlung durch den Ordner der Welt." ... Gemäß Origenes ist bestimmend für den Ort, an dem sich ein Vernunftwesen aufgrund seiner "eigenen Bewegung" befindet, sein eigener freier Wille, den ihm der Schöpfer als größtes Geschenk mitgegeben hat und durch den es der Seele möglich ist, sich für oder gegen Gott zu entscheiden. Er schreibt: Denn der Schöpfer gewährte den Intelligenzen, die er schuf, willensbestimmte, freie Bewegungen, damit in ihnen eigenes Gut entstehe, da sie es mit ihrem eigenen Willen bewahrten. Doch Trägheit, Überdruß an der Mühe, das Gute zu bewahren, und Abwendung und Nachlässigkeit gegenüber dem Besseren gaben den Anstoß zur Entfernung vom Guten. Auch bei einem anderen großen Kirchengelehrten, dem frühen Dalmatier Hieronymos (347-419), dessen größte Leistung die erste lateinische Bibelübersetzung (die "Vulgata") war, vereinigen sich klassisch-griechische und biblische Überlieferungen. In seinen "Epistulae" heißt es: Alle körperlosen und unsichtbaren vernünftigen Geschöpfe gleiten, wenn sie in Nachlässigkeit verfallen, allmählich auf niedere Stufen herab und nehmen Körper an je nach Art der Orte, zu denen sie herabsinken: zum Beispiel erst aus Äther, dann aus Luft, und wenn sie in die Nähe der Erde kommen, umgeben sie sich mit noch dichteren Körpern, um schließlich an menschliches Fleisch gefesselt zu werden... Dabei wechselt der Mensch seinen Körper ebensooft, wie er seinen Wohnsitz beim Abstieg vom Himmel zur Erde wechselt. Und in einem Brief an Demetrius schreibt Hieronymos, daß "die Reinkarnationslehre unter den ersten Christen als geheime, den Laien nicht offenbarte Überlieferung behandelt und nur den Auserlesenen erklärt wurde." Aus diesen Zeugnissen geht hervor, daß sowohl Origenes als auch andere bedeutende frühchristliche Theologen, Philosophen und Kirchenlehrer - so zum Beispiel auch Justinus der Märtyrer (100-165), Tatian (2. Jhd.), Clemens von Alexandria (150-214), Gregorios von Nyssa (334-395), Synesios von Kyrene (370 413) oder auch der Hl. Augustinus (354-430) und der Bischof Nemesios von Emesa (um 400-450) - die Ansicht vertraten, daß die Seelen der Menschen schon vor der Entstehung der materiellen Welt vorhanden waren. Mit anderen Worten, all diese frühen Kirchenlehrer waren von der später so umstrittenen Präexistenz der Seele vollständig überzeugt. Diese wiederum ist, wie bereits dargelegt, eine wichtige Voraussetzung für die Reinkarnationslehre und wird außerdem durch die folgende Bibelstelle bestätigt: Das Wort des Herrn erging an mich: Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt, zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt. (Jer 1,4-5) In "De principiis" vertritt Origenes denn auch ganz direkt die Prinzipien von Karma und Reinkarnation. Es heißt dort beispielsweise: Wenn man wissen will, weshalb die menschliche Seele das eine Mal dem Guten gehorcht, das andere Mal dem Bösen, so hat man die Ursache in einem Leben zu suchen, das dem jetzigen Leben voranging. Jeder von uns eilt der Vollkommenheit durch eine Aufeinanderfolge von Lebensläufen zu. Wir sind gebunden, stets neue und stets bessere Lebensläufe zu führen, sei es auf Erden, sei es in anderen Welten. Unsere Hingabe an Gott, die uns von allem Übel reinigt, bedeutet das Ende unserer Wiedergeburt. Und an einer anderen Stelle schreibt er: Aufgrund einer Anziehung an das Böse nehmen bestimmte Seelen Körper an, zunächst einen menschlichen. Nachdem ihre Lebensspanne als Mensch dann abgelaufen ist, wechseln sie aufgrund irrationaler Begierden in einen Tierkörper über, von wo sie auf die Ebene von Pflanzen sinken. Aus diesem Zustand erheben sie sich wieder, indem sie die gleichen Stufen durchlaufen, und kehren zu ihren himmlischen Orten zurück. Nach Origenes besteht also letztlich der Sinn und Zweck allen Lebens innerhalb der materiellen Welt darin, daß sich die Seelen durch viele Inkarnationen hindurch läutern und veredeln, bis alle, durch Befolgen der Gebote Jesu und durch ihre Liebe und Hingabe zu Gott, schließlich wieder in die ewige Gemeinschaft Gottes gelangen: Denn Gott lenkt die Seelen nicht nur im Hinblick auf die, sagen wir, fünfzig oder sechzig Jahre dieses irdischen Lebens, sondern auf die unendliche Ewigkeit; denn Er hat die geistige Substanz unvergänglich gemacht und Ihm selbst verwandt, und die vernünftige Seele ist nicht von der Heilung ausgeschlossen, als wäre sie auf das Leben hier auf Erden beschränkt... Diese [Rückkehr zu Gott] muß man sich aber nicht als ein plötzliches Geschehen vorstellen, sondern als ein allmähliches, stufenweise im Lauf von unzähligen und unendlich langen Zeiträumen sich vollziehendes, wobei der Besserungsprozess langsam den einen nach dem anderen erfaßt; einige eilen voraus und streben rascher zur Höhe, andere folgen in kurzem Abstande, und wieder andere weit hinten; und so gibt es zahllose Stufen von Fortschreitenden, die aus der Feindschaft zur Versöhnung mit Gott kommen, und am Ende steht der "letzte Feind", welcher der "Tod" genannt wird, und der ebenfalls vernichtet wird, auf daß er nicht länger ein Feind sei. Diese letzte Aussage bezieht sich auf die Bibelstelle 1 Kor 15,26, die Origenes wie folgt erklärt: Die Vernichtung des letzten Feindes ist aber so zu verstehen, daß nicht seine von Gott geschaffene Substanz vergeht, sondern seine feindliche Willensrichtung, die nicht von Gott, sondern von ihm selbst stammt. Er wird also vernichtet, nicht um künftig nicht zu sein, sondern um künftig nicht mehr "Feind" und "Tod" zu sein.... Die Beseitigung des Wissens um die Reinkarnation Wie gesagt ist es höchst bedauerlich, daß das Gesamtwerk der Lehren Origenes' nicht mehr in vollem Umfang und im Original vorliegt, sondern aus den Schriften anderer, die teilweise seine Gegner waren, rekonstruiert werden mußte. Die Zeugnisse des Wissens um Karma und Reinkarnation sind jedoch trotzdem noch so zahlreich, daß es verwundert, daß und wie es gelingen konnte, sie später bis in die heutige Zeit als bedeutungslos hinzustellen oder zu verschweigen. Will man daher heute feststellen, ob die Lehre der Reinkarnation tatsächlich im Urchristentum enthalten war, muß man auch die politischen Hintergründe jener Zeit aufhellen. Das frühe Christentum hatte in der Zeit des Origenes noch keine festen Dogmen gekannt, und unter dem Begriff der Kirche wurde noch keine feste Institution verstanden. Die Entwicklung der Kirchenlehre war also hauptsächlich von gewissen theologischen Lehrsätzen bestimmt gewesen, die an Kirchenversammlungen festgelegt worden waren. Erst nachdem das Christentum im 4. Jahrhundert römische Staatsreligion geworden war, entstanden die ersten Dogmen, wobei der Entstehung dieser kirchlichen Glaubenssätze bekanntlich keine innere Systematik zugrunde lag. Sie wurden nicht als allgemeingültige Glaubenswahrheiten verfaßt, sondern waren ursprünglich Leitsätze zur Abwehr gewisser Glaubensauffassungen, die mit kirchlichen Interessen nicht übereinstimmten und daher zu Irrlehren erklärt werden mußten. Offiziell nach dem Konzil zu Nicaa (das erste große Konzil der Kirchengeschichte) im Jahre 325 - aber, wie anzunehmen ist, auch schon vorher - begann die bewußte Abänderung oder gar Ausmerzung mißliebiger oder unverstandener Stellen in den Schriften des Neuen Testaments. Von kirchlichen Behörden eigens zu diesem Zwecke ernannte Corrctores wurden bevollmächtigt, Schrifttexte im Sinne dessen zu "korrigieren", was nach Ansicht der Machthaber als richtig galt. Es ist wahrscheinlich, daß in jener Zeit zahlreiche Stellen des Neuen Testaments, welche die Reinkarnationslehre betrafen, entfernt wurden. Diese Praxis wurde auch durch die folgenden drei ökumenischen Konzilien nicht aufgehalten - Konstantinopel (381), Ephesus (431) und Chalcedon (451). Im Gegenteil, diese arbeiteten Jesus Christus immer klarer als den einzigen Erlöser unseres Zeitalters heraus und stellten jedem "wahren" Christen die Befreiung aus der Sterblichkeit des materiellen Körpers alleine durch das Annehmen Christi und seiner Kirche! - in Aussicht. Dadurch wurde natürlich die Lehre der Reinkarnation zusehends verdrängt, da sie für den "wahren" Christen nicht mehr zutreffend (und auch nicht mehr erwünscht) war, bis sie schließlich auf dem nächsten, dem fünften Konzil (Konstantinopel, 553) endgültig abgeschafft wurde. Aus vielfältigen, zum Teil machtpolitischen und zum Teil egoistisch-menschlichen Gründen waren also nach dem Tode des Origenes zahlreiche theologische Streitigkeiten um seine Lehren entbrannt, insbesondere auf dem Gebiet der Eschatologie, der "Lehre von den letzten Dingen". Und weil Origenes als die überragende Gestalt der frühen Kirche überall anerkannt wurde - er galt als die Autorität schlechthin, und Gegner wie Befürworter beriefen sich auf ihn -, verknüpfte man das Wissen um die Reinkarnation immer mehr mit seinem Namen. Die Synode zu Konstantinopel (543) Auf Drängen des byzantinischen Kaisers Justinian I. (527-565) wurde im Jahre 543 in Konstantinopel eine Synode der Ostkirche einberufen, die das erklärte Ziel hatte, die theologischen Differenzen um die Lehren des Origenes (der 300 Jahre zuvor gelebt hatte!) ein für allemal zu beenden. Diese Lehren wurden, ohne Rücksicht auf die Haltung des damaligen römischen Papstes Vigilius, durch die Synode mit neun Anathemata (Bannflüchen) belegt, wobei der für die Frage der Seelenpräexistenz und der Reinkarnation entscheidende erste Bannfluch lautet: Wenn einer sagt oder meint, die Seelen der Menschen seien präexistent gewesen, insofern sie früher Geistwesen und heilige Mächte gewesen seien, es habe sie aber Überdruß ergriffen an der Schau Gottes und sie hätten sich zum Schlechten gewendet, darum sei die göttliche Liebe in ihnen erkaltet ... und seien zur Strafe in Körper hinabgeschickt worden - der sei anathema (verflucht). Außerdem wurden (im neunten Bannfluch) auch all diejenigen verflucht, die nicht glauben würden, daß es eine ewige Bestrafung der Dämonen und gottlosen Menschen gebe. All diese Verfluchungen geschahen auf die äußerst persönlich motivierte Anweisung von Kaiser Justinian (und dessen intriganter Gemahlin Theodora), der sich selbst als Oberherrn der Kirche verstand. Über diesen zwielichtigen Kaiser schreibt der Historiker Georg Ostrogorsky in seiner "Geschichte des byzantinischen Staates" (in: "Handbuch der Altertumswissenschaft", 1963): Auch als Christ blieb Justinian Römer, und die Idee einer Autonomie der religiösen Sphäre war ihm völlig fremd. Päpste und Patriarchen behandelte er als seine Diener. In derselben Weise wie er das Staatswesen leitete, dirigierte er auch das Kirchenleben, in jede Einzelheit der Kirchenverfassung persönlich eingreifend. (S. 65) ...Und Hermann Bauer schreibt in "Der Einfluß Ostroms" (1982): Umso leichter hatte es Kaiser Justinian, da in Rom Papst Vigilius residierte, der wegen der Ostgotengefahr auf militärische Hilfe des Kaisers angewiesen war und darüber hinaus eine Marionette der Kaisergemahlin Theodora war, der er das Papstamt (537) letztlich verdankte. Die Persönlichkeit des Kaisers, die allgemeine Kriegssituation im oströmischen Reich und dazu die drohende Gefahr, in Palästina durch origenistisch gesinnte Mönchsgruppen noch einer zusätzlichen innenpolitisch-religiösen Kriegsfront gegenüberzustehen, diese Gründe gaben das politische Motiv zur Beseitigung des Wissens um die Reinkarnation. Ein weiteres Motiv gab Justinians ehrgeizige und herrschsüchtige Frau Theodora. Sie war (nach Procopius) die Tochter eines Bärenwärters im Amphitheater von Byzanz gewesen. Ihren kometenhaften Aufstieg zur Herrscherin des Reiches begann sie als Kurtisane. Um mit ihrer schändlichen Vergangenheit ganz zu brechen, ließ sie später als sittenstrenge Kaiserin 500 ihrer ehemaligen Berufsgenossinnen mißhandeln und martern. Da sie nach den Gesetzen des Karma (die Origenes in seinen Schriften "De principiis" und "Contra Celsum" unmißverständlich bejaht hatte) in einem späteren Leben für diese Greueltaten hätte büßen müssen, wirkte sie nun beim Kaiser darauf hin, die Wiedergeburtslehre einfach abzuschaffen. Von der Wirksamkeit dieser Aufhebung durch einen "göttlichen Beschluß" muß sie ganz und gar überzeugt gewesen sein. Aus welchen fragwürdigen Motiven auch immer - Tatsache ist, daß an der Synode der Ostkirche im Jahre 543 Origenes' Lehren verdammt wurden. Die Bannflüche wurden daraufhin unter dem unnachgiebigen Druck Kaiser Justinians von sämtlichen Patriarchen unterzeichnet, einschließlich Papst Vigilius', der 544 eigens zu diesem Zwecke fast gewaltsam nach Konstantinopel gebracht wurde. Mit ihrer Unterzeichnung reihte die Kirche den bedeutendsten und herausragendsten Theologen des frühen Christentums, Origenes, aus rein weltlichen Gründen unter die ketzerischen Irrlehrer. Mit Sicherheit ist anzunehmen, daß in der Folge in den kirchlichen Dokumenten aufs neue alles entfernt oder verändert wurde, was gegen diese dogmatischen Lehrsätze sprach. Die heutige Geschichtsforschung muß sich also auf Stellen stützen, die offenbar übersehen wurden. Das Konzil zu Konstantinopel (553): Origenes' Lehre von der Präexistenz und der Reinkarnation der Seele wurde dann zehn Jahre später, also 553, durch das fünfte ökumenische Konzil zu Konstantinopel nochmals verurteilt, wobei inhaltlich ungefähr dieselben Bannflüche wie zehn Jahre zuvor ausgesprochen wurden. Dadurch wurde die Reinkarnationslehre offiziell zur "heidnischen Irrlehre" erklärt und rechtmäßig abgeschafft... Wer nicht verflucht... Origenes samt seinen gottlosen Schriften und alle anderen Häretiker, welche verflucht sind von der heiligen katholischen und apostolischen Kirche..., der sei verflucht. Vermutlich wurde dieser seltsame Bannfluch von Kaiser Justinian vor Eröffnung des Konzils den Patriarchen vorgelegt, die dann zur Unterzeichnung genötigt wurden. Interessant ist auch, daß Papst Vigilius bewußt an keiner einzigen Sitzung teilnahm, obwohl er sich auf Geheiß des Kaisers während der fraglichen Zeit (5. Mai bis 2. Juni 553) in Konstantinopel aufhielt. Aus diesem Grunde stand dem Konzil nicht wie üblich der Papst vor, sondern der Patriarch von Konstantinopel, Eutychius, ein treuer Diener Kaiser Justinians. Ebenfalls interessant ist, daß von den anwesenden 165 Bischöfen nur einige wenige aus den Westländern zugelassen waren, während die anderen eine Teilnahme unter diesen Voraussetzungen ablehnten. Das heißt: Das Konzil zu Konstantinopel war praktisch eine ganz persönliche Versammlung Kaiser Justinians, auf dem er mit seinen von ihm abhängigen Vasallen (gegen den Protest des Papstes und der römischen Bischöfe) die Lehre von der Vorexistenz der Seele willkürlich mit Fluch und Bann belegte und damit der ursprünglich christlichen Lehre der Reinkarnation die Grundlage entzog. Das vierwöchige Konzil endete am 2. Juni 553, aber erst am 8. Dezember 553 unterzeichnete Papst Vigilius unter dem unnachgiebigen Druck des Kaisers und aus Angst vor der Exkommunikation (!) und vor der Ernennung eines Gegenpapstes schließlich die Konzilsakte - vermutlich ohne etwas über die vorherigen Abmachungen gegen Origenes zu wissen. ... Der Reinkarnationsglaube ist nicht unchristlich Der dubiose Bannfluch Kaiser Justinians 300 Jahre nach Origenes' Tod ist von der Kirche bis heute offiziell nicht revidiert worden. Im Gegenteil setzte sich die Überzeugung, der Fluch sei ein Teil der gültigen Konzilsbeschlüsse, trotz aller Ungereimtheiten im Laufe der Jahrhunderte allmählich im Denken der Kirche fest. Dennoch bleibt es eine Tatsache, daß das vermeintliche Verbot der Reinkarnationslehre, wenn wir es genauer betrachten, nichts weiter ist als ein Geschichtsirrtum ohne jede ökumenische Gültigkeit. ... Denn später wurde die Reinkarnationslehre von der Kirche im Konzil zu Lyon (1274) und im Konzil zu Florenz (1439) erneut aufs schärfste verurteilt. Daraufhin wurden die Anhänger dieser Lehre unerbittlich verfolgt und oft sogar hingerichtet. Das in diesem Zusammenhang wohl berühmteste Beispiel ist der bereits in Kapitel 5 erwähnte italienische Gelehrte und ehemalige Dominikanermönch Giordano Bruno (1548-1600). Für sein philosophisches Bekenntnis zur Lehre der Seelenwanderung brachte man ihn im Jahre 1592 vor das christliche Inquisitionsgericht, das ihn nach langer Gefangenschaft schließlich zum Feuertode verurteilte. Am 17. Februar 1600 wurde er auf dem Campo dei Fiori in Rom öffentlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt. |
|
|||||||||
![]() |